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Tote Hunde e.V. - Bundesweit im Einsatz

Für Sie vor Ort erreichbar: Unsere regionalen Ansprechpartner!

Hier spricht ein Betroffener

Hunderte entlaufene Hunde kommen jährlich in Deutschland zu Tode, immernoch werden etliche davon namenlos entsorgt. Wir erzählen in unseren Einsatzberichten immer von den Schicksalen, in denen wir den Fellnasen ihren Namen zurück und den Besitzern Gewissheit geben konnten. Natürlich sind die Fälle immer tragisch, aber unvorstellbar ist es für uns, was die Besitzer durchmachen, die jahrelang keine Gewissheit bekommen. Wir haben zwar inzwischen viele gute Kontakte, aber immernoch stehen wir manchmal verzweifelt vor der leeren Fundstelle, weil ein „Entsorger“ schneller war. Einmal in der Kadavertonne, kommen wir auch nicht mehr an den Hund.

Eine Geschichte, die wir euch nicht vorenthalten möchten, ist die von Ganji..

In der Nacht vom 14. auf den 15. August 2014 ging ich kurz vor Mitternacht eine letzte Runde mit meiner Hündin Ganji, nur noch eine kleine Runde um den Kanal gegenüber. Etwa 10 Meter vor meiner Haustür hörte ich es bereits. In der Ferne am anderen Ende der Straße waren quietschende Reifen, hochgedrehte Motoren und Polizeisirenen zu hören. Ein paar Sekunden später lief alles ab wie im Film.
Ein Auto mit massiv überhöhter Geschwindigkeit, schlingernd über die gesamte Straße, auf der Flucht vor der Polizei und direkt auf mich und meinem Hund zurasend. Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Hund angeschriehen habe. Mehrmals „RENN WEG!!!“, als ich mich umdrehte und versuchte vor dem Auto wegzulaufen.

Ich hätte an diesem Tag wirklich niemals geglaubt, dass dieser Satz das Letzte ist was ich jemals zu ihr sagen würde und ihr Rücken, während sie weglief das Letzte ist, was ich von ihr jemals sehen werde. Es war ein ganz normaler und sogar fröhlicher Donnerstag. Dann kam der betrunkene Fahrer, auf der Flucht vor der Polizei und glaubte in diesem Moment, ich muss jetzt sterben. Das Auto kam etwa 2 Meter vor uns zum stehen, als es mit voller Geschwindigkeit und ganzer Wucht zwischen geparkten Autos und einem Baum am Straßenrand krachte, der Schlag war ohrenbetäubend und Metallteile und Glassplitter flogen durch die Luft.
Ganji riss sich los und war sofort verschwunden, so schnell rannte sie aus Angst vor dem Krach und Aufprall davon.
Wenn man bedenkt, dass sie sich schon immer vor Feuerwerk und selbst Gewitter geürchtet hatte, kein Wunder.

Ich bin sofort meinem Hund hinterhergerannt, ich bin noch nie so schnell gerannt wie in dieser Nacht.
Ich rannte und rannte und rannte durch die Dunkelheit, bis es keine Spur mehr von ihr gab, ich habe nach ihr geschriehen wie ein Verrückter vor Verzweiflung, immer wieder.
Anschließend haben meine damals engste Freundin und deren Freundinnen mit mir die gesamte Nacht gesucht, ohne Erfolg.

Was die nächsten Wochen und Monate folgten, waren schlaflose Nächte und Verzweiflung, schreckliche Gedanken, Fernseh- und Zeitungsinterviews um eine Reichweite zu erzielen, ein Einsatz von Suchhunden und beköderte Wildcams, wir sind mit Kleidungsfetzen am Boden schleifend durch die Gegend gelaufen um unseren Geruch zu hinterlassen, wir pflasterten hunderte Suchflyer in fast ganz Berlin und selbst Tiertelephaten wurden aufgesucht.
Mir sind Menschen begegnet, die das Leid durch Falschmeldungen ausnutzen wollten oder sich einfach darüber Lustig machten, indem sie in den Telefonhöhrer bellten. Diese Ereignisse damals haben sehr viel in mir abgetötet und abgestumpft. Ein langes Gefühl von „Endzeitstimmung“ begleitete mich.

Man möchte kein Opfer sein, nicht Selbstbemitleidend wirken, aber trotzdem Ernst genommen werden, auch wenn es sich nicht um einen Menschen handelt, der vermisst wird. Man will nicht gesagt bekommen, man solle sich einen neuen Hund kaufen, oder belächelt werden, wenn man sich schlecht deswegen fühlt oder traurig ist.
Fakt ist: Man hat mir meinen Hund entrissen und damit ihr und mein Leben zerstört.

Es gab aber auch viel Solidarität und Freundschaft die ich erfahren habe, durch meine Leute (die sich dadurch erst herauskristallisierten) und die vielen Unterstützer, egal ob Anrufer oder Hinweisgeber auf der Facebookseite, die wir im Laufe der Suche eingerichtet hatten.
Mich erreichten viele schöne Nachrichten, in denen sich Menschen wirklich um meine Hündin sorgten.

Wir sind wirklich jedem Hinweis nachgegangen, bis sich herausstellte dass Ganji zufällig in eine offene S-bahn-Tür stieg und in Zeuthen landete.
Wir dachten damals ab diesem Punkt noch, es wäre nur noch eine Frage der Zeit bis wir sie zurück haben werden.

Es gab viele Meldungen und Hinweisungen über Sichtungen, viele konnte durch Fotos und Beschreibungen sehr früh ausgeschlossen werden, andere haben wir länger verfolgt, Nächte in Autos an den Stellen verbracht.

Und dann, fast 3 Monate später, kurz vor Jahresende, gab es diese eine Meldung über einen Fund eines ertrunkenen Hundes.
In einem Kanal in Berlin bargen Feuerwehrleute durch Hinweise von Passanten einen toten Hund.
Leider wurde von der Feuerwehr weder ein möglicher Chip ausgelesen, noch wurde ein Foto geschossen.
Der Leichnam wurde weitergeleitet und anschließend verbrannt in einem Tierkrematorium in Herzberg.

Mein Hund ist gechipt. Und das nicht ohne Grund.
Es wäre kein Aufwand gewesen, einen eventuellen Chip bei dem Fund auslesen zu lassen und hätte für Gewissheit gesorgt.
Auch bei Anderen, die bis heute ihr Tier vermissen.

Die Mitglieder von Tote Hunde e.V., welche den Fall dokumentierten und uns darauf aufmerksam machten, konnten lediglich eine Beschreibung aufnehmen. Da die Beschreibung auf Ganji zutraf, der Feuerwehrmann sich sogar sicher war, mussten wir natürlich handeln.

Das für mich unmögliche war plötzlich möglich geworden und ich habe mich dieser Meldung zuerst verschlossen, ich wollte nichtmal die Option im Ansatz wahrhaben, meine Freundin musste sich darum kümmern, weil ich es einfach nicht konnte. Sie nahm Kontakt zu den Passanten auf, welche ebenfalls eine große Ähnlichkeit zu Ganji attestierten (danke nachträglich für’s Kümmern).

Alleine der Gedanke daran, wie mein Ein und Alles, dass ich mir geschworen hatte für immer zu beschützen, einen grausamen Todeskampf im Wasser führt und mutterseelen alleine ertrinkt, hat mir instant alle Sicherungen durchbrennen lassen, es hat mich buchstäblich Wahnsinnig gemacht.
Ich konnte und wollte es nicht glauben und eine weitere, zwar unbestätigte, „Lebend-Sichtung“ nach diesem Vorfall nährte wieder die Hoffnung in mir, weswegen wir diese Gedanken wieder verwarfen und ich diese Möglichkeit verdrang.

Jahre vergingen, die Sichtungen wurden immer weniger, es gab einfach nichts neues mehr.
Hier und da liebe und nette Nachrichten von Unterstützern, aber keine neuen Anhaltspunkte.

Die Ungewissheit aber blieb, bis heute.
All diese Fragen im Kopf, all diese Selbstvorwürfe, ich habe sie im Stich gelassen, habe nicht gut genug gesucht, hätte es von Anfang an verhindern müssen.
Was denkt sie sich gerade? Was denkt sie über mich? Ist sie enttäuscht? Vermisst sie mich? Geht es ihr gut und hat mich längst vergessen?
Oder will sie eigentlich zu mir, aber kann nicht? War sie es doch damals, im Kanal und ich war nicht an ihrer Seite in ihrer letzten Stunde?
All das bricht mir das Herz immer wieder, das fehlende Wissen, wie es um ein geliebtes Wesen steht, hat mich depressiv und zurückgezogen werden lassen.
Man kann einfach nicht damit abschließen, wenn man nicht weiß woran man ist.
Vor allem, wenn trotzdem weiterhin, wie ein Damoklesschwert über dem Kopf, die Sache mit dem Kanal ungeklärt im Raum steht.
Da es niemals eindeutig geklärt wurde, ob es sich um Ganji gehandelt hat oder nicht, können wir diesen Fall niemals ganz ausschließen.
Das heißt, selbst wenn es passiert ist, könnte ich niemals um mein geliebtes Tier trauern, wie man es als Mensch eben tut.
Es klingt makaber, aber – für den Fall, dass ich sie niemals mehr wieder finden werde, werde ich auch in Zukunft niemals ein Datum und einen Ort haben,
an dem ich den Tod betrauern, eine Kerze anzünden, ein Blümlein niederlegen oder mit ihr sprechen kann. Niemals.

Ich glaube der Mensch braucht einfach einen Ort zum trauern, egal ob er oder sie religiös ist oder nicht.
Ich glaube der Mensch kann ungewisse Dinge nicht akzeptieren und die Ungewissheit ist etwas, dass einen immer mehr und mehr auffrisst und versteinern lässt.
Es ist etwas, dass Lebensqualität mindert und sich nicht sehr leicht bewältigen lässt, allgegenwärtig im Alltag bleibt.

Vor einigen Wochen kam zufällig die damalige Meldung bezüglich des Totfundes wieder aktiv auf, wenn auch ohne neue Hinweise.
Der Gedanke hat mich wahnsinnig gemacht und hatte einiges aufgerissen, aber die Auseinandersetzung war vermutlich lange überfällig.
Nach kurzer Zeit hat mich der Drang gepackt zu dem Ort zu fahren, der die letzte Station von Ganjis irdischem Körper gewesen sein könnte, sollte es sich damals wirklich bei dem toten Hund um sie gehandelt haben.
Ich habe etwa 2 Stunden in Herzberg vor den Toren des Tier-Kreamtorium verbracht, es kam mir vor wie ein paar Minuten.
Ich habe zu ihr gesprochen, wie ich es getan habe, als sie noch an meiner Seite war,
habe ihr erzählt was passiert ist in meinem Leben, wie es mir ohne sie geht, mich entschuldigt, ihr gesagt dass ich sie vermisse und es sich doch ein gutes Stück schwerer ohne sie lebt, bis heute. Ich habe gefleht dass sie noch lebt.

Ich habe nicht nur meinen Hund und damit meine beste Freundin, treueste Weggefährtin und für mich verständnisvollstes Wesen verloren,es blieb noch mehr auf der Strecke.
Ich hatte mich selbst verloren, sei es simple Lebenslust und die Fähigkeit einfach mal Froh zu sein, das genießen von Momenten mit wichtigen Menschen die zu einem hielten. Ich habe die unrationale Abneigung entwickelt, Hunde zu berühren, streicheln oder über sie zu sprechen, weil es mir falsch vorkommt.
Wichtige Menschen haben sich durch meine Schwermütigkeit, Verbitterung und launischen Ausbrüchen abgewandt, eine mir extrem wichtige Beziehung ist zerbrochen – und ich kann es sogar verstehen.

Einiges hält bis heute an, mit Anderem begann man im Laufe der Zeit besser klar zu kommen.
Was über bleibt ist viel Reue und Selbstvorwürfe, das Gefühl Menschen damit auf die Nerven zu gehen, Isolation, aber auch Hoffnung aus Prinzip.

Ich bin mir verdammt sicher, es würde mir so viel helfen, wüsste ich was mit Ganji passiert ist.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, aber selbst die schlimmsten Option, dass sie nicht mehr am Leben ist, würde mir eine Möglichkeit geben damit abzuschließen.
Auch wenn ich diesen Wunsch nach Aufklärung ganz sicher nicht über den Wunsch stelle, sie wieder lebendig in meine Arme schließen zu können -solange ich gar nichts weiß, werden sich neben all der Hoffnung, trotzdem noch viele Gedanken um den Vorfall damals in dem Kanal drehen.
Immer und immer wieder. Man findet keine Ruhe.

Nur ein simples Foto von diesem Tag und ich könnte es wenigstens ausschließen.
Mehr hätte es ja nicht einmal gebraucht.

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